
Am 30. Juni 2023 jährte sich der Geburtstag von Alice Berend, einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Weimarer Republik, zum 150. Mal. Berend, geboren 1875 in Berlin in eine jüdische Fabrikantenfamilie, wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sie begann ihre schriftstellerische Karriere im Jahr 1898 beim Berliner Tageblatt, bevor sie sich später auch dem Schreiben von Theaterstücken für Kinder widmete. Der literarische Durchbruch gelang ihr 1912 mit dem Roman „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“.
Berends humorvolle und warmherzige Erzählweise fand unter den Lesern großen Anklang. Ihr bekanntestes Werk, „Frau Hempels Tochter“ von 1913, beleuchtet das Leben des Berliner Kleinbürgertums. Auch ihre anderen Werke, wie „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ (1915) und „Spreemann & Co.“ (1916), haben sich gut verkauft, oft mit Auflagen von über 100.000 Exemplaren. Berend wird stilistisch häufig mit Autoren wie Kurt Tucholsky und Theodor Fontane verglichen und gilt als eine der ersten Jüdinnen, die eine literarische Stimme in Deutschland hatte.
Ein Leben geprägt von Verfolgung
Berends Schaffen fand jedoch durch die rassenpolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten ein abruptes Ende. Trotz ihrer evangelischen Taufe galt sie nach den NS-Rassegesetzen als Jüdin und wurde verfolgt. 1933 wurden ihre Bücher auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt, was ihrer Karriere einen schweren Schlag versetzte. Aus Angst vor Verfolgung emigrierte Berend 1935 nach Italien, wo sie mit ihrer Tochter Carlotta lebte.
In Florenz, wo sie 1938 verarmt starb, war Berend fast vergessen, und ihre Beerdigung fand nur im kleinen Kreis mit ihrer Tochter und einem Pfarrer statt. Ihre Werke verschwanden weitestgehend aus dem literarischen Gedächtnis, und erst in den letzten Jahren erfuhr Berend durch Neuauflagen ihrer Bücher, wie „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ und „Spreemann & Co.“, wieder eine gewisse Aufmerksamkeit.
Kulturelle Rückschläge und Neustarts
Der Kontext für Berends Schicksal spiegelt sich in der allgemeinen Geschichte jüdischer Schriftstellerinnen in Deutschland wider. Vor 1933 konnten viele von ihnen, darunter auch die bekannten Autorinnen Else Lasker-Schüler und Anna Seghers, literarisch aktiv sein. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete diese Ära abrupt. Jüdischen Schriftstellerinnen wurde es fortan verwehrt, in Deutschland zu publizieren, was zahlreiche von ihnen zur Flucht ins Exil zwang.
Die Emigration hatte für viele gravierende Folgen: Der Verlust der Heimat, sozialer Netzwerke und oft sogar der eigenen Sprache war verbreitet. Während einige wie Hannah Arendt im Exil ihre Karriere fortsetzen konnten, mussten viele andere unter prekären Bedingungen leben. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten jüdische Schriftstellerinnen in Deutschland eine radikale Veränderung ihrer literarischen Landschaft, da viele versuchten, in der Nachkriegszeit eine neue Existenz aufzubauen.
Trotz der Widrigkeiten hinterließ Alice Berend ein literarisches Erbe, das ab den späten 20. Jahrhunderten zunehmend wiederentdeckt wird. ihrer Werke und des unverwechselbaren Witzes, gepaart mit dem tiefen Verständnis für das Leben „kleiner Leute“, hat sie ihren Platz in der deutschen Literaturgeschichte gesichert. Berend wird auch als Wegbereiterin für die heutige Generation jüdischer Autorinnen betrachtet, die sich mit Identität und postkolonialen Themen auseinandersetzen.